Pressemitteilung der Beratenden Kommission NS-Raubgut vom 4. September 2023:
Die Beratende Kommission NS-Raubgut tritt mit einem Memorandum an die Öffentlichkeit und fordert von der Politik ein Restitutionsgesetz und damit eine klare Übernahme der Verantwortung als Rechtsnachfolgerin des NS-Staats.
Die Beratende Kommission NS-Raubgut wurde vor 20 Jahren ins Leben gerufen. Sie besteht aus zehn Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unter dem Vorsitz des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, und berät in besonders komplexen Raubkunstfällen. Sie wurde 2003 von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden mit dem Ziel eingerichtet, bei Differenzen zwischen den Beteiligten über die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter zu vermitteln. Sie ist die einzige Institution dieser Art in Deutschland.
Am 14. September 2023 findet in Berlin die Festveranstaltung der Beratenden Kommission zum 20-jährigen Jubiläum unter der Teilnahme von Politik, Forschung, Opferverbänden und Anspruchstellenden statt. Aus diesem Anlass hat die Beratende Kommission ein Memorandum erstellt, das den Reformbedarf für ihre Arbeit und des Restitutionsrechts aufzeigt.
Die 23 Empfehlungen der Beratenden Kommission NS-Raubgut werden im In- und Ausland seit Jahren als richtungsweisend rezipiert. Sie spielen für die Entscheidungsfindung von Museen und ihren Trägern eine wichtige Rolle und sie haben eine erhebliche Bedeutung für den Kunstmarkt. Die geringe Anzahl von Empfehlungen der Kommission beruht auf der entsprechenden geringen Anzahl von Anrufungen. Denn bis heute können die Opfer und deren Nachfahren nur dann vor die Kommission ziehen, wenn die kulturgutwahrenden Einrichtungen einer Anrufung der Kommission zustimmen. Demgegenüber steht die hohe Anzahl von bis heute nicht restituierter NS-Raubkunst. Alleine die sog. „Lost-Art Datenbank“, in der internationale Such- und Fundmeldungen von NS- Raubkunst veröffentlicht werden, verzeichnet rund 40.000 Such- und weitere 35.000 Fundeinträge entzogener Kulturgüter.
Die Bedingungen, unter denen die Beratende Kommission arbeitet, bleiben somit unbefriedigend. Auch im In- und Ausland reißt die Kritik nicht ab, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht hinreichend in der Lage und auch nicht wirklich Willens ist, das NS-Unrecht im Hinblick auf die Kulturgüter angemessen und umfassend wiedergutzumachen.
Vor diesem Hintergrund ist es der Beratenden Kommission anlässlich Ihres 20-jährigen Bestehens ein Anliegen, selbst und zukunftsgerichtet mögliche strukturelle Mängel aufzuzeigen und notwendige beziehungsweise denkbare Reformansätze zu benennen.
Einseitige Anrufbarkeit: Das Haupthemmnis für eine umfassende Bearbeitung von Raubkunstfällen durch die Beratende Kommission ist, dass die Nachfahren der Opfer keine Möglichkeit haben, das Verfahren einseitig von sich aus zu initiieren. Die Beratende Kommission fordert deshalb, dass die Opfer und deren Nachfahren die Möglichkeit erhalten müssen, ein Verfahren vor der Kommission in Gang zu setzen, ohne dass sie hierfür auf die freiwillige Mitwirkung der Kultureinrichtung angewiesen sind, in dessen Obhut sich das Kulturgut befindet.
Bindungswirkung der Entscheidungen: Bislang kann die Beratende Kommission nur Empfehlungen aussprechen und keine bindenden Entscheidungen erlassen. Ihre Umsetzung ist den Parteien anheimgestellt. Gefordert ist mithin der Gesetzgeber, der die Einrichtung, die Stellung und die Zusammensetzung der Kommission sowie deren Entscheidungsverfahren gesetzlich regeln sollte.
Kulturgüter in privater Hand, materielles Restitutionsgesetz unerlässlich: Die gängige Praxis in Deutschland führt dazu, dass bisher fast ausnahmslos Kulturgüter in öffentlichem Eigentum Gegenstand der Verfahren gewesen sind und der Besitz von Raubkunst von Privatpersonen und privaten Einrichtungen nicht angetastet wird. Die Beratende Kommission fordert, dass auch private Einrichtungen beziehungsweise Privatpersonen, die über NS-Raubkunst verfügen, in ein Restitutionsverfahren einbezogen werden sollten. Will man hier über den Gesichtspunkt der Freiwilligkeit hinausgehen, ist ein umfassendes Restitutionsgesetz erforderlich. Denn nach geltendem Zivilrecht sind Herausgabeansprüche unter Hinweis auf einen NS-verfolgungsbedingten Entzug nicht oder nicht mehr begründet oder durchsetzbar.
Gesetzliche Regelungsalternativen: Im Falle eines umfassenden Restitutionsgesetzes müssen verfassungsrechtliche Fragen geprüft und insbesondere die Wahrung des Grundrechts der Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes gewährleistet werden. Gutgläubigen Eigentümern, die gesetzlich verpflichtet wären, Kulturgut herauszugeben, müsste ein Entschädigung- oder Ausgleichsanspruch zustehen. Was die Rolle der Beratenden Kommission anbelangt, wären sowohl eine verwaltungsrechtliche Lösung denkbar, bei der die Kommission als obere Bundesbehörde über Restitutionsbegehren entscheidet, oder eine zivilrechtliche, in der die Kommission als obligatorisches Schiedsgericht dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltet wäre. Eine solche Weiterentwicklung der Kommission wäre zu begrüßen, da sich in dieser Institution inzwischen großes Erfahrungswissen und Fachkenntnisse angesammelt haben.
Provenienzforschung: Die in Deutschland vom Bund finanzierte Forschung zur Herkunft von Kunstwerken ist unzureichend geregelt. In der weit überwiegenden Anzahl der Fälle gehen die Forschungsgelder an Museen. Die Auswertung der Ergebnisse unterliegt bis heute keiner unabhängigen Organisation oder Stelle, sondern erfolgt ebenfalls durch Museen. Die Beratende Kommission fordert, dass die Gelder für die Provenienzforschung (insgesamt rund 50 Millionen Euro seit 2008) nicht mehr nur an die Museen, sondern an ein unabhängiges Forschungsinstitut gehen sollen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich international und national zu der Verantwortung bekannt, die sie als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs trägt, insbesondere zur Aufarbeitung des NS-Unrechts und zur Rückgabe verfolgungsbedingt abhanden gekommener Kulturgüter. Dieser politisch-moralischen Verantwortung wird sie nicht gerecht, weil die bisherigen Regelungen, insbesondere bei strittigen Fällen, ungenügend sind. Daher verlangt die Beratende Kommission eine gesetzliche Regelung ihrer Stellung und Tätigkeit.
Das Memorandum der Beratenden Kommission ist erhältlich bei der Geschäftsstelle der Beratenden Kommission.