Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel restituiert zwei Bücher an die Erben von Felix Ganz und Olga Kreiß-Ganz

Die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel hat die Bücher „Die Gärtnerin aus Liebe. Komische Oper von W. A. Mozart. Neueinrichtung von R. u. L. Berger, Mainz [1912]“ von Felix Ganz (1869‒1944) und „Georg Friedrich Händel, Neun deutsche Arien, hrsg., gesetzt und eingeleitet von Herman Roth, München 1921“ mit einem Besitzeintrag von Olga Kreiß-Ganz (1900‒1974), einer Tochter von Felix Ganz, an die Nachkommen restituiert.

Als jüdische Familie waren Felix Ganz, seine Frau und seine Kinder der Verfolgung durch das NS-Regime ausgesetzt. Bis zur „Arisierung“ seines Unternehmens im Jahr 1934 hatte sich Ganz auf den Import von Textilien und Ausstattungsgegenständen aus dem Nahen und Mittleren Osten spezialisiert. Gesellschaftlich war er als Förderer zahlreicher kultureller Vereinigungen aktiv und versammelte in seiner Villa in Mainz eine überregional bekannte Sammlung von Kunstgegenständen sowie eine fachlich weitgespannte Privatbibliothek. Der bisher weitgehend ungeklärte Verbleib der Sammlung ist Gegenstand eines Forschungsprojekts in der Abteilung Kunstgeschichte der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert wird. Zwischen dem Mainzer und dem ebenfalls vom Zentrum unterstützten Wolfenbütteler Projekt gelang in diesem Fall eine erfolgreiche Kooperation.

Olga Renate Kreiß (später Rickards, geb. Ganz) war als Opern- und Konzertsängerin im In- und Ausland tätig. Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme und einem De-facto-Auftrittsverbot verlor sie ihre berufliche Existenz. Dem Holocaust konnte sie durch Emigration nach Großbritannien im März 1939 entgehen. Felix Ganz und seine Frau Erna wurden 1942 von Mainz über Darmstadt ins Ghetto Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet.

Bis zu ihrer Flucht bewohnte Olga Kreiß eine Wohnung in der elterlichen Villa am Mainzer Michelsberg. Einrichtung und Besitz musste sie vor der Emigration unter Wert verkaufen. Im Zuge der von ihr in der Bundesrepublik angestrengten Rückerstattungsverfahren machte sie u. a. den Zwangsverkauf eines Notenschranks sowie von „Noten, Bildern, Chrystall“ geltend. Es ist wahrscheinlich, dass sich unter diesem Notenmaterial auch die in der Herzog August Bibliothek identifizierte Händel-Ausgabe befunden hat; die dort enthaltenen Arien zählten nachweislich zu Olga Kreiß’ Repertoire. Beide Bände, der von Felix Ganz und der von Olga Kreiß-Ganz, kamen 1998 als Teil einer mehrere Bände umfassenden Schenkung einer Benutzerin in die Wolfenbütteler Bibliothek.

Das inzwischen abgeschlossene, zweijährige Forschungsprojekt „NS-Raubgut unter den antiquarischen Erwerbungen der Herzog August Bibliothek seit 1969“ wurde gefördert durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste. Die NS-Raubgut-Forschung an der HAB wird derzeit im Nachfolgeprojekt „NS-Raubgut unter den Zugängen der Herzog August Bibliothek 1933–1969“ fortgeführt.

Zum Gespräch mit dem Nachfahren Adam Ganz über seinen Urgroßvater Felix Ganz mit der Provenienzforscherin Nathalie Neumann und der SWR-Journalistin Marie-Christine Werner aus dem Jahr 2021.

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22. November 2023