Die Tagung fand im Rahmen eines zweijährigen Forschungsprojekts statt, das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste und dem Lüneburgischen Landschaftsverband gefördert wird. Im Projekt wird unter anderem die Herkunft der Erwerbungen untersucht, die das Bomann-Museum in den Jahren 1933 bis 1945 im regionalen Kunsthandel tätigte. Dabei soll geklärt werden, ob sich darunter Kulturgut aus vormaligem jüdischem Besitz befindet, das nach 1933 unter Zwang verkauft oder enteignet wurde.
Für die Provenienzrecherche ergeben sich im Fall des regionalen Kunsthandels jedoch besondere Herausforderungen. Die Quellenlage ist nicht selten problematisch, wenn weder Auktions- und Verkaufskataloge noch Geschäftsunterlagen überliefert sind. Vor dieser Problematik steht allerdings nicht nur das Bomann-Museum, sondern auch andere Häuser bei Forschungen zur Herkunft ihrer dort erworbenen Bestände. Daher war es ein Ziel der Tagung, zur Vernetzung der Ergebnisse beizutragen und eine Diskussion darüber anzuregen, wie trotz schwieriger Quellenlage eine bestmögliche Recherche stattfinden kann.
Angesichts der Corona-Pandemie musste das Bomann-Museum erstmals eine Tagung komplett in digitaler Form realisieren. Obwohl insbesondere Beiträge zum Kunsthandel in Niedersachsen, Hamburg und Bremen Teil der Veranstaltung waren, fand sie weit darüber hinaus große Resonanz. Rund 130 Interessierte aus ganz Deutschland und teilweise dem europäischen Ausland nahmen daran teil. „Das sind mehr als doppelt so viele wie bei der letzten Tagung vor dreieinhalb Jahren“, zeigt sich Organisator Dr. des. Christopher Galler zufrieden.
Auch Museumsdirektor Dr. Jochen Meiners zeigte sich in seinem Grußwort sehr zufrieden mit der Resonanz: „Diese Reichweite hätten wir mit einem analogen Format wohl nicht erzielen können. Auch können Kolleginnen und Kollegen teilnehmen, die wegen der räumlich Distanz zum Tagungsort wohl nicht angereist wären.“
Den Eröffnungsvortrag mit dem Titel „Der Kunsthandel in Hannover: Bezugsquelle für die Sammlung des Bomann-Museums Celle“ hielt Projektbearbeiter Dr. des Christopher Galler. Nach einer kurzen Einführung zur Geschichte des Bomann-Museums bis 1945 gab er einen ausführlichen Einblick die Forschungsergebnisse zu den Erwerbungen bei sechs Kunsthändlern aus Hannover. Besonders der Händler Emil Backhaus war durch seine Funktion als Vertrauensmann und Sachverständiger der Reichskammer der bildenden Künste am Entzug von Kulturgut beteiligt. Nicht selten kaufte er selbst Kunst und Antiquitäten an, die er zuvor aus dem Umzugsgut von Juden ausgeschlossen hatte, und überwies den Preis auf Sperrkonten. Schwierig gestaltet sich allerdings nach wie vor die konkrete Zuordnung von Objekten, wenn es sich um keine Unikate handelt oder sie in den Quellen nur rudimentär beschrieben sind.
Im folgenden Vortrag beleuchtete Dr. Johannes Schwartz, der als Provenienzforscher für die kulturgeschichtlichen Museen der Stadt Hannover zuständig ist, seine Ergebnisse am Beispiel von drei Kunsthändlern. Darunter war auch der bereits zuvor erwähnte Emil Backhaus, durch dessen Vermittlung ein Rokoko-Schrank aus dem Besitz der als Jüdin verfolgten Klara Berliner in den Bestand des Museums August Kestner gelangte. Weiterhin referierte er ausführlich zu den Händlern Erich Pfeiffer und Karl von der Porten, der einen jüdischen Adoptivvater hatte. Mit diesem hatte er sich jedoch überworfen und verdiente während der NS-Zeit selbst an der Versteigerung von jüdischem Eigentum.
Im Anschluss folgten mehrere kürzere Beiträge: Moderatorin Dr. Claudia Andratschke, die neben der Leitung des Netzwerkes auch für die Provenienzforschung am Landesmuseum Hannover zuständig ist, ergänzte die bereits genannten Erkenntnisse zum Kunsthandel in Hannover durch Beispiele aus ihrer eigenen Forschung. Prof. Dr. Ulrike Wolff-Thomsen, die Direktorin des Museums Kunst der Westküste, referierte über die Provenienz eines Liebermann-Gemäldes, das seit 2016 im Bestand des von ihr geleiteten Museums ist. 1942 war es vom Städtischen Museum Braunschweig an den Kunsthändler Erich Pfeiffer veräußert worden und wurde im August 1943 zur Sicherung vor Bombenangriffen im Celler Schloss eingelagert. Dr. Christian Riemenschneider zeigte anschließend die Verbindungen des regionalen Kunsthandels zu den Museen in Südniedersachsen auf und berichtete dabei auch über den jüdischen Händler Henry Seligmann, der vor 1933 insbesondere erfolgreich mit Münzen handelte. Dr. Ulrike Schmiegelt-Rietig stellte Erkenntnisse zu dem in Hannover geborenen Kunsthändler Helmuth Rinnebach vor. Dieser betrieb in den 1920er Jahren in Hannover wohl nur kurzzeitig eine Kunsthandlung, spielte aber ab 1939 bei der Beschlagnahmung von Kunst im „Protektorat Böhmen und Mähren“ eine Rolle.
Das Nachmittagsprogramm begann mit einem Doppelvortrag von Dr. Kathrin Kleibl und Susanne Kiel, die am Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven tätig sind. Dort forschen sie zum Verbleib von jüdischem Umzugsgut, das nach Ausbruch des Krieges in den Häfen von Bremen und Hamburg verblieben war und zugunsten des Reiches „verwertet“ wurde. Dies geschah häufig durch Auktionen, so auch im Fall des Umzugsgutes von Hans Salomon, der in Celle bis 1938 das Herrenmodengeschäft Hasall betrieben hatte. Nicht wenige Kunst- und Antiquitätenhändler traten auf solchen Auktionen als Käufer auf. Ziel der Forschungen und Kleibl und Kiel ist umfangreiche Datenbank, mit der der Verbleib des Umzugsgutes recherchiert werden kann.
Der anschließende Vortrag von Dr. Brigitte Reuter thematisierte die Geschichte der 1938 gegründeten Hamburger Kunsthandlung F.K.A. Huelsmann. Das Händler-Ehepaar vermachte große Teile seiner Privatsammlung der Stadt Bielefeld, wo sie heute im Museum Huelsmann zu sehen ist. Im Verlauf ihres Bestehens entwickelte sich die Kunsthandlung für die Museen in Norddeutschland vor allem zu einer Bezugsquelle für hochwertige Silberobjekte. Der abschließende Beitrag von Dr. Annette Baumann zu den Händlern und Sammlern Herbert von Gravens und Otto Ralfs als Scouts der Avantgarde im Norden nahm dann noch einmal einen weiteren bedeutenden Aspekt des regionalen Kunsthandels in Hannover in den Blick.
Bereits im Verlauf der Veranstaltung kristallisierte sich im Chat der Wunsch heraus, die bisherigen Forschungserkenntnisse zu den Kunst- und Antiquitätenhandlungen und anderen Akteuren in einem Verzeichnis zusammenzuführen. Hierzu entwickelte sich auch eine rege Abschlussdiskussion. Ein solches Verzeichnis soll im Rahmen der geplanten Publikation der Tagungsbeiträge zunächst zu den Händlern und Firmen entstehen, die Gegenstand der Vorträge waren.