Herzog August Bibliothek restituiert Versepos an Erben von Heinrich Spiero

Nachkommen des Literaturwissenschaftlers und Germanisten erhalten Buch zurück und schenken es der Bibliothek.

Die Herzog August Bibliothek (HAB) in Wolfenbüttel hat das Buch „Luise. Ein Ländliches Gedicht In Drei Idyllen“ von Johann Heinrich Voß (erstmals erschienen 1783/84) an die Erbberechtigten des Schriftstellers und Germanisten Heinrich Spiero restituiert, der im Nationalsozialismus als Jude verfolgt wurde.

Anhand eines Exlibris auf der Innenseite des Deckels konnte das Buch der Privatbibliothek von Heinrich (1876-1947) und Olga Spiero (1877-1960) zugeordnet werden. Heinrich Spiero war, wie seine gesamte Familie, der antisemitischen Verfolgung durch das NS-Regime ausgesetzt und wurde mehrfach verhaftet. Seit 1935 war er mit einem Schreib- und Publikationsverbot belegt. Die drohende Deportation von Heinrich und Olga Spiero konnte durch ihren nicht-jüdischen Schwiegersohn knapp verhindert werden. Heinrich und Olga Spiero überlebten die nationalsozialistische Herrschaft in Berlin. Der ursprüngliche Umfang der Spieroschen Privatbibliothek wird auf etwa 20.000 Bände geschätzt. Durch das Berufsverbot in finanzielle Not geraten, musste Spiero mehr als 250 Blätter seiner umfangreichen Autographensammlung verauktionieren. Ab 1938 veräußerte Spiero NS-verfolgungsbedingt große Teile seiner Privatbibliothek. Der nun restituierte Band mit dem Exlibris von Heinrich und Olga Spiero gelangte 1985 als Teil der Privatbibliothek des Komponisten und Hochschullehrers Ernst Pepping (1901-1981) in den Bestand der HAB. Die Erbengemeinschaft nach Olga und Heinrich Spiero hat sich entschlossen, nach der Restitution den ihren Vorfahren entzogenen Druck der HAB zu schenken.

Seit vier Jahren untersucht die Herzog August Bibliothek (HAB), gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, die Provenienzen ihrer Bestände. Auf Basis einer strukturierten Überprüfung der Provenienzen konnten wesentliche Erkenntnisse über NS-verfolgungsbedingt entzogene Objekte in den Sammlungen der HAB gewonnen werden. Bisher wurden 14.000 Nummern aus den Zugangsbüchern, 350 Bände Ars Librorum und Malerbücher, 909 Bände der Sammlung Pepping sowie 5.287 weitere Bände überprüft. Dabei weisen die Ars Librorum und Malerbücher vergleichsweise wenige Provenienzspuren auf. Dieser Umstand ist möglicherweise auf gezielte Manipulationen zurückzuführen. Die „Sammlung Pepping“ weist eine deutlich erhöhte Frequenz von NS-Raubgut- und -Verdachtsfällen auf. Anhand der Zugangsbücher wird ersichtlich, dass die HAB auch bei Lieferant:innen gekauft hat, die nachweislich mit NS-Raubgut gehandelt haben und dort teils NS-Raubgut – auch noch weit nach 1945 – erworben hat. Insgesamt tragen rund 80% der gesichteten Bände keine Provenienzspuren, sodass mit einer hohen Dunkelziffer von NS-Raubgut zu rechnen ist.

Seit Beginn des durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekts „NS-Raubgut unter den Zugängen der Herzog August Bibliothek 1933-1969″ im Dezember 2022 konnten insgesamt sieben Bände restituiert werden. Darunter zwei an die Arbeiterkammer Bibliothek Wien für Sozialwissenschaften als Rechtsnachfolger der „Sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek bei der Arbeiterkammer“ in Wien, ein Band ebenfalls an die AK Bibliothek Wien, da dort die Privatbibliothek des Juristen Anton Menger verwahrt wurde, zwei Bände an die Erb:innen des Mainzer Unternehmers Felix Ganz und dessen Tochter Olga Kreiß, geb. Ganz, ein Band an die Erbengemeinschaft nach Olga und Heinrich Spiero sowie ein Band an die Erbberechtigte nach Valeriu Marcu. Weitere sechs Restitutionen stehen noch aus.

Aufgrund der hohen Frequenz von Provenienzmerkmalen und des entsprechend deutlich höheren Rechercheaufwands innerhalb der „Sammlung Pepping“ wurde eine Projektverlängerung bis zum 31.12.2025 vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste bewilligt.

Zum Projekt auf der Website der HAB: http://diglib.hab.de/?link=118

Zum Projekt NS-Raubgut unter den Zugängen der Herzog August Bibliothek 1933–1969

Artikel-Informationen

21. Oktober 2024