Deutsches Zentrum Kulturgutverluste: Im Gespräch mit dem Museumsdorf Cloppenburg

Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste hat für das Format “Provenienzforschung erklärt” Christina Hemken interviewt, die Projektleiterin des Provenienzforschungsprojektes „Museumsdorf Cloppenburg während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft – Sammlungsgeschichte in ihrem institutionellen Kontext“ ist. Als eines der größten und ältesten Freilichtmuseen Deutschlands mit einer Sammlung zur Geschichte des ländlichen Raumes war das Museumsdorf Cloppenburg das erste seiner Art, das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert wurde. Neben der Überprüfung der Sammlung von historischen Alltagsgegenständen und Mobiliar stand die Institutionsgeschichte des Museumdorfes im Vordergrund. Das 1934 gegründete Museumsdorf geht auf frühere Aktivitäten im Sinne der Heimatbewegung zurück, wurde aber im Zuge des Nationalsozialismus maßgeblich aufgebaut. Da die Sammlungsaktivitäten in den 1930er und 1940er Jahren auf lokalpolitischer Ebene tatkräftig unterstützt wurden, war eine Untersuchung der Institutionsgeschichte geboten. Wie in anderen Museen des ehemaligen Gau Weser-Ems stand auch in Cloppenburg im Raum, ob sogenanntes „Hollandgut“ (in den besetzten Niederlanden beschlagnahmter Hausrat jüdischer Bürger) in die Bestände übernommen worden war.

1. Warum haben Sie sich bzw. sich ihre Einrichtung dazu entschlossen, Provenienzforschung zu betreiben?

Das Museumsdorf Cloppenburg ist Anfang der 1930er Jahre mit Hilfe der nationalsozialistischen Oldenburger Landesregierung gegründet worden. Die Sammlungsaktivitäten des Museums, deren Schwerpunkte und Ziele, aber auch die finanziellen und organisatorische Unterstützung durch staatliche, kommunale und private Akteure sind bis dato nicht untersucht worden. Daher stand für uns, neben der möglichst lückenlosen Objektdokumentation, die Aufarbeitung der eigenen Sammlungsgeschichte in ihrem zeitgenössischen politischen Kontext im Fokus Ziel unserer Recherchen war eine größtmögliche Transparenz der eigenen Sammlungs- bzw. Museumsgeschichte zu erreichen.

2. Welches der untersuchten Objekte hat eine besonders erwähnenswerte Geschichte?

Es hat sich gezeigt, dass die M-Aktion des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg in den besetzten Benelux-Ländern und Frankreich für das Museumsdorf Cloppenburg, aber auch für die gesamte Nordwestregion aufgrund der überproportionalen Belieferung mit geraubtem Kulturgut von besonderer Bedeutung ist. Von dem damaligen Museumsleiter wurden eine Kommode und eine Standuhr direkt bei einem Verkauf von sog. „Hollandmöbel“ erworben. Wie aktuell das Thema des „Hollandgutes“ ist, zeigt nicht zuletzt eine Terrine, die dem Museumsdorf im Jahr 2017 anlässlich der Ausstellung „1942/43 – der lokale Horizont von Entrechtung und Vernichtung“ übergeben worden war: 1942/43 bei einer sogenannten „Judenauktion“ erstanden, drückte die Spenderin bei der Abgabe erkennbar ihre „Erleichterung“ angesichts des damals entstandenen Unrechts aus.

3. Gab es im Verlauf des Projektes Überraschungen oder ist ihnen etwas besonders aufgefallen?

Bisher hatten wir angenommen, dass der überwiegende Teil der Sammlung aus bäuerlichen Zusammenhängen der näheren Region stammt, die zum größten Teil als „verdachtsfrei“ beschrieben werden können. Im Laufe der Untersuchung hat sich aber gezeigt, dass die Zahl der Ankäufe von Antiquitätenhändlern überraschend hoch ist und das, was wir für „bäuerlich“ gehalten haben, häufig aus städtischen Haushalten stammt und von Händlern lediglich mit fragwürdigen Provenienzangaben versehen wurde. Auch die Zahl der nicht verzeichneten Objekteingänge ist sehr viel höher als anfangs angenommen.

4. Welche Ratschläge oder Hinweise können Sie Einrichtungen geben, die bisher wenig Erfahrung mit Provenienzforschung haben?

Grundlage der Provenienzforschung ist die Sichtung des eigenen Quellen- und Archivmaterials, darauf aufbauend sollte eine ausführliche digitale Objektdokumentation erfolgen.
Aufgrund der lückenhaften Quellenlage im Haus waren wir aber zwingend auf Parallelüberlieferung in Stadt-, Staats- und Bundesarchiven angewiesen, die sich für uns als überaus ertragreich erwiesen hat und damit als Beweis für die Sinnhaftigkeit einer Kombination von Archivarbeit und musealer Erschließungstätigkeit im Bereich der Provenienzforschung gelten kann. Darüber hinaus haben wir durch zwei Tagungen zum Thema, eine Ausstellung, zwei Publikationen und zahlreiche Presseberichte viele regionale und überregionale Kontakte knüpfen können, die einige Fragen der eigenen Erwerbungsgeschichte beantwortet konnten.

5. Welche besonderen Herausforderungen haben Sie im Laufe des Projekts und bei der Provenienzforschung gemeistert?

In der Regel handelt es sich bei den Objekten des Museumsdorfs um Alltagsgegenstände, die in großer Zahl hergestellt wurden, keinem direkten Urheber zuzuordnen sind, keine eindeutigen Provenienzspuren aufweisen und auch nicht in Kunst- und Auktionskatalogen geführt werden. Die Quellenlage zu den Händlern ist äußerst lückenhaft und Datenbanken zur Provenienzrecherche konnten nur in wenigen Fällen herangezogen werden. Außerdem hat sich heraus gestellt, dass es eine erhebliche Zahl undokumentierter Sammlungseingänge gibt. Diese Tatsache führte zu zahlreichen Unstimmigkeiten zwischen den Inventarbüchern und gesondert erstellten Inventarlisten. Die lückenlose Klärung der Provenienz aller Museumsobjekte wird aller Voraussicht nach auch nach intensiver Forschungsarbeit nicht zu leisten sein. Aber die Provenienzforschung des Museumsdorfs Cloppenburg hat gezeigt, wie verwoben die eigene Sammlungsgeschichte mit den verschiedenen Aneignungswegen von NS-Raubgut auf lokaler und regionaler Ebene sein kann.

Das Gespräch führten wir mit

Christina Hemken
Projektleiterin des Provenienzforschungsprojektes „Museumsdorf Cloppenburg während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft – Sammlungsgeschichte in ihrem institutionellen Kontext“

 
 

Artikel-Informationen

8. Juni 2018