Wie kamen wertvolle antike Gläser aus Syrien nach Mainz und warum gibt es bis heute menschliche Überreste aus Afrika in der Rostocker Anatomie? Seit auch in Deutschland die Debatte über den Umgang mit Objekten aus kolonialen Kontexten Fahrt aufgenommen hat, stellen sich Institutionen hierzulande verstärkt Fragen nach der Herkunft ihrer Bestände.
Um die Provenienz von Objekten aus kolonialen Kontexten in deutschen Einrichtungen zu klären, hat nun der Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste in Magdeburg auf Empfehlung seines Förderbeirats in der ersten Antragsrunde 2020 fünf neuen Forschungsanträgen von Museen und Universitäten zugestimmt und dafür insgesamt zunächst 653.200 Euro Fördergeld bewilligt.
Dabei richtet sich der Fokus nicht nur auf Objekte aus ethnologischen Museen, sondern auch auf solche in archäologischen und naturkundlichen Sammlungen.
So erforscht das Römisch-Germanische Zentralmuseum, Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie in Mainz jetzt die Herkunft eines Konvoluts von antiken Gläsern aus Syrien, die vermutlich beim Bau der Bagdadbahn zwischen 1912 und 1914 in Syrien gefunden wurden. Die Objekte erzählen auch vom kolonial geprägten Antikenhandel in den 1910er Jahren.
Das Projekt des Museums für Naturkunde Berlin untersucht ausgehend vom Netzwerk des Kustos der Säugetiersammlung, Paul Matschie, der zwischen 1890 und 1926 an der Sammlung tätig war, die grundsätzlichen, kolonial geprägten Strukturen bei der Beschaffung naturkundlicher Objekte.
Großes Gewicht hat nach wie vor die Klärung der Herkunft von menschlichen Überresten. Das Institut für Anatomie und der Arbeitsbereich Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Rostock nehmen eine Sammlung menschlicher Überreste unter die Lupe, die zum Teil aus ehemaligen Kolonien stammen. Vor rund hundert Jahren hatte der Mediziner Friedrich Merkel eine „Rassenschädelsammlung“ begründet. Das Projekt in Rostock soll nicht nur der wissenschaftlichen Aufarbeitung dienen, sondern auch eine Grundlage schaffen, um mit den Herkunftsgesellschaften in Dialog über mögliche Rückgaben zu treten.
Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg ist national und international der zentrale Ansprechpartner zu allen Fragen unrechtmäßig entzogenen Kulturgutes. Seit Januar 2019, als das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste aufgrund eines Fördermandats des Stiftungsrats um einen Fachbereich für koloniale Kontexte erweitert wurde, ist es möglich, die Förderung von Projekten zu beantragen, die sich mit Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten befassen.
Anträge für längerfristige Projekte können jeweils zum 1. Januar und 1. Juni eines Jahres eingereicht werden. Antragsberechtigt sind alle Einrichtungen in Deutschland in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft, die Kulturgut aus kolonialen Kontexten sammeln, bewahren oder erforschen. Dazu zählen Museen, Universitäten und andere Forschungseinrichtungen.